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„Plötzlich war der Bildschirm schwarz – und ich habe gefeuert“, sagte ein Insider von Binance laut FinanceFWD


Ein Fintech ohne Firmensitz ist innerhalb weniger Jahre zur weltgrößten Kryptobörse aufgestiegen – nun aber befindet sich Binance in der schwersten Krise seiner Geschichte. Die US-Börsenaufsicht hat das Unternehmen verklagt, hunderte Mitarbeiter mussten gehen. Wie schlimm ist die Lage? Und wie sieht es im Innern der geheimnisvollen Firma aus? Finance Forward und Capital haben in einer großen Recherche hinter die Kulissen von Binance geschaut. 

Eigentlich war es ein ganz normaler Arbeitstag für Patricia Hallmann, sie saß vor ihrem Computer im Homeoffice in einer Stadt irgendwo in Europa. Hallmann, die eigentlich anders heißt, hatte ihren Job bei Binance, der größten Kryptobörse der Welt, erst vor einiger Zeit angetreten – und sie war zufrieden: Sie konnte flexibel arbeiten, hatte fähige Kollegen und das Gefühl bei der wichtigsten Firma der neuen Finanzwelt dabei zu sein.

Sie war gerade dabei, eine Mail zu schreiben, als ihr Bildschirm plötzlich schwarz wurde. „Ich habe das erst gar nicht verstanden, ich dachte, mit dem Computer ist etwas kaputt“, erzählt Hallmann. Erst als sie ihre privaten Mails checkte, wurde ihr klar, was los war: Sie war gerade gefeuert worden. In einer Massenmail, die Finance Forward vorliegt, hieß es von Binance: „Wir müssen schneller, schlanker und effizienter werden.“ Das „derzeitige Regulierungs- und Marktumfeld“ zwinge Binance zur Veränderung, daher müssten einige Teams verkleinert werden. „Und das bedeutet, dass wir uns heute leider von dir trennen müssen.“ In einer eigenen Nachricht erhielt Hallmann das mickrige Abfindungsangebot von einem Monatsgehalt.

Sie war geschockt. Wie Hallmann in anderen Medien später lesen konnte, war sie wohl eine von rund 1.000 Angestellten, die Mitte Juli entlassen wurden. Reuters und das Wall Street Journal berichteten über die Zahl, die Binance-Gründer Changpeng Zhao, kurz CZ, allerdings bestreitet. Man sei bemüht, „die Talentdichte zu erhöhen“, daher sei es zu „unfreiwilligen Kündigungen“ gekommen, erklärte CZ. Zudem strich das Unternehmen zuvor viele zusätzliche Leistungen für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – wegen eines „Gewinnrückgangs“, wie es in einer internen Nachricht hieß, die auf Twitter kursiert und die Hallmann ebenfalls gesehen hat.

Einblick in eine Blackbox

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Finance Forward

Die Entlassungen sind dabei nur eine Folge der tiefen Krise, in der sich Binance zurzeit befindet. Nach einer Transparenz- und Expansionsoffensive im vergangenen Jahr hat sich die Stimmung für die Kryptobörse gedreht. Die US-Börsenaufsicht SEC hat das Unternehmen verklagt. Die Vorwürfe sind ernst, es geht um Täuschung von Investoren, Interessenkonflikte, Vertuschung und die absichtliche Umgehung von US-Gesetzen. Überall auf der Welt schauen nun die Aufsichtsbehörden genauer hin. Wie Finance Forward aufdeckte, musste Binance in Deutschland seinen Antrag für eine Kryptoverwahrlizenz zurückziehen. Auch in anderen Märkten wie Österreich, Großbritannien und den Niederlanden gab es Niederlagen bei den Lizenzbemühungen.

Es ist gar nicht so leicht, mehr über diese Firma zu erfahren, die keinen festen Sitz hat und aus einem undurchsichtigen Firmengeflecht besteht. Fragt man bei aktuellen Mitarbeitern nach, verweisen sie extrem vorsichtig an die Pressestelle. Man habe die Leute davor gewarnt, mit Journalisten zu sprechen, heißt es. Das Unternehmen ist nervös, denn die kommenden Monate entscheiden darüber, wie es für die größte Kryptobörse der Welt weitergeht.

Finance Forward und Capital haben dennoch mit rund einem halben Dutzend Insidern sprechen können: ehemaligen Mitarbeitern, früheren Führungskräften und Anwälten. So lässt sich das Bild eines Unternehmens zeichnen, das um jeden Preis wachsen wollte – und dabei immer wieder an gesetzliche Grenzen stößt.

Der Job war anders

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Oscar Ramos

Einer der Insider ist Jerome Hansen – auch er trägt in Wirklichkeit einen anderen Namen. Hansen war zuerst fasziniert von Binance. Mit Mitte 20 sollte er die Kryptobörse mit aufbauen – sein Start fiel genau in den großen Hype um Digitalwährungen. „Zu der Zeit war das der wichtigste Kryptoanbieter der Welt, und ich war früh dabei“, sagt Hansen im Rückblick. Der Job war anders, als er es bislang von anderen Arbeitgebern kannte. „Ich wurde in Kryptowährungen bezahlt, die man mir auf das Binance-Konto ausgezahlt hat“, erzählt Hansen.

Am Ende des Monats musste er immer zusehen, Teile der volatilen Währung schnell zu verkaufen, um Geld zum Leben zu haben. „Ich war dann beispielsweise mit der Familie am Wochenende im Wald, es war gegen Ende des Monats – und dann kam die Nachricht, dass das Geld da ist. Also musste ich schnell verkaufen.“ Viele Gehälter zahlt Binance in der eigenen Kryptowährung BNB. Heute soll es allerdings auch möglich sein, das Gehalt in Euro oder Dollar zu bekommen.

Noch ungewöhnlicher war die Zusammenarbeit. „Ich habe sehr eng mit Menschen zu tun gehabt, von denen ich nur sehr wenig wusste“, berichtet der ehemalige Mitarbeiter. Die Kolleginnen und Kollegen saßen irgendwo auf der Welt, bei Videocalls war ihre Kamera nie an, und sie hatten Fantasienamen wie John oder Joe. Es ist in Asien nicht unüblich, sich westliche Namen zu geben – doch ohne Bild und richtigen Namen war es für Hansen schwer, sein Gegenüber zu fassen. Mit der Kryptocommunity kommunizierte das Team über den verschlüsselten Messenger Telegram.

Ziemlich wilde Zustände

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Finance Forward

Schwer vorstellbar, dass Banken- und Börsenaufseher solche Zustände in ihren angestammten Terrains und Märkten tolerieren würden. Gerade wenn es um Handelsplätze geht, über die täglich Geschäfte in Milliardenhöhe abgewickelt werden – und die es zunehmend mit klassischen Banken und Vermögensverwaltern zu tun bekommen. Doch für die Kryptowelt sind die altgedienten Aufseher eben nicht so ohne Weiteres zuständig, weshalb Kryptobörsen wie Binance oder auch FTX lange machen konnten, was sie wollten – Hauptsache, das Geschäft wuchs ordentlich weiter.

„Es gab zwei Fraktionen innerhalb der Firma“, sagt eine ehemalige europäische Führungskraft. Die eine Seite unterstützte die Bemühungen, sich an Gesetze zu halten, die andere sei auf schnelles Wachstum gepolt gewesen – um jeden Preis. „Manchmal verlor die eine Fraktion die Geduld und hat uns gedrängt, wieder neue Kunden zu bringen. Dann mussten wir dagegenhalten.“ Binance betont auf Anfrage, diese Zustände seien inzwischen vorbei.

„Wir betreiben eine fking unlizenzierte Wertpapierbörse in den USA, bro“

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Zu was das führte, lässt sich in der Anklageschrift der SEC nachlesen. Demnach soll Binance amerikanischen Kunden ermöglicht haben, nicht nur die eingeschränkte US-Plattform zu nutzen, sondern das volle Binance-Angebot. Dieses aber darf in den USA eigentlich nicht verwendet werden, weil Binance die Lizenz für Finanzprodukte fehlt, die dort angeboten werden. Die „VIPs“ – große Kryptohändler – habe man daher ermutigt, ihren Wohnsitz mit technischen Tools zu verbergen und bei der Anmeldung ihr Heimatland nicht zu erwähnen.

„Wir betreiben eine fking unlizenzierte Wertpapierbörse in den USA, bro“, zitiert die SEC-Anklage Samuel Lim, den verantwortlichen Compliance Officer zu jener Zeit. Binance widerspricht auch hier, man verfüge über „Best-in-class-Technologie“, um amerikanische Nutzer auszusperren, heißt es von dem Unternehmen.

Die ganze Geschichte über das Innenleben von Binance lest ihr hier auf Capital.de oder in der neuen Ausgabe von CAPITAL, die am Kiosk liegt – oder online im CAPITAL-Shop gekauft werden kann.

Sources


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Author: Nichole Schultz

Last Updated: 1699151404

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